IMG_0920

Wie die App ein Renner wird

Workshops, Kostenkontrolle, Updates – was KMU bei der Umsetzung ihres App-Projekts konkret beachten müssen für ein erfolgsversprechendes Ergebnis.

von Roger Lüchinger

Mit der Einführung des iPhone im Jahr 2007 und der Öffnung der Plattform für Softwareentwickler ein Jahr später hat Apple den Mobilmarkt revolutioniert und eine neue Geräteklasse geschaffen. Auch andere Hersteller, allen voran Google, haben kurz darauf ihre mobilen Betriebssysteme lanciert und für Entwickler geöffnet. Sieben Jahre später finden sich in den verschiedenen App Stores insgesamt über 3,7 Mio. Apps[1] und es ist eine «App Economy» entstanden, die 2013 alleine in der EU über 19 Milliarden CHF mit der Entwicklung von Apps umgesetzt und 1.8 Millionen Arbeitsplätze geschaffen hat[2]. Gemäss einer Studie von Swisscom aus dem vergangenen Jahr nutzen Herr und Frau Schweizer ihr Mobiltelefon im Durchschnitt 85 Mal pro Tag. Für ein Unternehmen entspricht dies 85 möglichen Touchpoints, um mit bestehenden und potenziellen Kunden in Kontakt zu treten.

Kein Wunder also, dass neben Grossfirmen, die schon seit längerem eigene Apps anbieten, auch bei immer mehr kleinen und mittleren Firmen der Wunsch entsteht, mit einer eigene mobilen Applikation den Kontakt zum Kunden zu suchen. In der Schweiz wird für das Jahr 2015 ein Umsatz von 120 Mio. CHF mit der Entwicklung von Apps veranschlagt[3]. So sind in der Schweiz in den letzten Jahren zusätzlich zu bereits etablierten Werbeagenturen und Softwarehäusern eine grosse Menge von Agenturen entstanden, die sich auf die Umsetzung von mobilen Applikationen spezialisiert haben.

Den Überblick in der Angebotsflut behalten

Aber wie veranschlagt man die Kosten für die Umsetzung der eigenen App und findet den richtigen Partner für die Umsetzung – Besonders wenn man bedenkt, dass es nach Erhebungen der Standish Group (CHAOS Report) bei rund 72% aller IT-Projekte zu Kosten- bzw. Zeitüberschreitungen oder funktionalen Einschränkungen kommt[4]? Holt man bei verschiedenen Anbietern ein Angebot für die Umsetzung auf der Basis eines Pflichtenhefts ein, so reibt sich mancher ob dem Umstand die Augen, dass sich die eingehenden Angebote für dieselbe App oft um den Faktor fünf unterscheiden. Auch ist die Vergleichbarkeit der verschiedenen Angebote oft nicht gegeben – besonders für Aussenstehende, die mit den spezifischen Anforderungen nicht vertraut sind, die bei der Entwicklung einer App berücksichtigt werden müssen. Sind die Inhalte in der App eingebettet («hardcodiert») oder können diese bequem über ein Content-Management-System aktualisiert werden? Ist die App für die Nutzung über das Mobilfunknetz optimiert und/oder speichert sie Inhalte so, dass auf diese auch ohne Netzwerkverbindung zugegriffen werden kann? Handelt es sich um eine native App, die in der Programmiersprache der jeweiligen Plattform (z.B. Objective-C bzw. Swift für iOS und Java für Android) umgesetzt wird, oder wird eine hybride App angeboten, bei welcher mit Webtechnologien erstellte Inhalte in einem App-Container «verpackt» werden? Kann die Applikation nur im Portrait- oder auch im Landscape-Modus genutzt werden? Ist sie nur für die Nutzung auf dem Smartphone oder auch für Tablets optimiert? Wird ein benutzerfreundliches Handling von Fehlern und «Edge Cases» implementiert? Wurde zusätzlich Zeit für die Testphase und für die Implementierung von Rückmeldungen von Testern einkalkuliert? Und erhält der Auftraggeber nach Projektabschluss eine ausführliche Dokumentation sowie den Quellcode? All dies sind Faktoren, die einen grossen Einfluss auf die Preiskalkulation haben und die im Angebot des vermeintlich günstigsten Anbieters nicht zur Zufriedenheit des Auftraggebers berücksichtigt wurden.

In Workshops den Funktionsumfang bestimmen

Neben den vorher genannten rein technischen Kriterien ist es für manchen Auftraggeber aber auch schwierig einzuschätzen, welche Kernfunktionen in einer App überhaupt Sinn machen – gerade wenn man weiss, dass über 80% aller Apps nach der Installation auf dem Smartphone nur ein einziges Mal geöffnet und anschliessend nie mehr verwendet werden[5]. Es macht also mitunter wenig Sinn, einfach nur die Inhalte der Unternehmenshomepage in einer App wiederzugeben. Vielmehr müssen Funktionen gefunden werden, die dem Nutzer auf dem Smartphone einen echten, kontextbezogenen Mehrwert bieten und die ihn dazu animieren, die App regelmässig zu nutzen.

Hierzu bietet es sich an, mit einem oder mehreren potenziellen Anbietern einen Workshop durchzuführen. An diesem Workshop nehmen neben Spezialisten für User Experience und Informationsarchitektur idealerweise auf Kundenseite Stakeholder aus möglichst vielen verschiedenen Bereichen teil, denn meistens haben IT-Leiter, Marketing- und Kommunikationsverantwortliche oder Mitarbeitende am POS völlig unterschiedliche Vorstellungen und Anforderungen für eine mobile App.

In einem solchen Workshop werden zuerst die Bedürfnisse der einzelnen Anspruchsgruppen der späteren App-Nutzer ausformuliert – im Idealfall auf der Basis von «Personas», die bereits vorhanden sind oder die auf der Basis der erwarteten Nutzerdemografie gebildet werden. Ausserdem muss überlegt werden, welche Funktionen den Nutzer dazu bewegen können, die App regelmässig zu verwenden. Eine wichtige Basis hierfür bilden qualitativ hochwertige und vor allem regelmässig aktualisierte Informationen. Ausserdem kann es in vielen Bereichen hilfreich sein, wenn versucht wird Aspekte von «Gamification» einzubinden – also dem Nutzer einen spielerischen Anreiz zu bieten, um die App möglichst oft zu verwenden. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, indem der Kunde während der Nutzung der App Punkte sammeln und in einer Rang-Hierarchie aufsteigen kann, oder indem der Kunde für bestimmte Aktionen und Nutzungsmuster Abzeichen freischalten kann. Ein Beispiel: Ein Kunde eines Fitness-Centers erhält den «Early Bird»-Badge, wenn er früh am morgen im Fitnesscenter mit seinem Smartphone eincheckt oder den «Turbo»-Badge, wenn er an fünf Tagen hintereinander trainiert. Solche Gamification-Features müssen nicht immer mit einem monetären Mehrwert oder einem physischen Preis verbunden werden – oft genügt es schon, die intrinsische Motivation anzusprechen. Weiter sollten auch die spezifischen Möglichkeiten eines Mobiltelefons – zum Beispiel GPS, Beschleunigungssensor oder Kamera – sowie neue kontext- und standortbezogene Technologien wie Beacons in die Konzeption mit einbezogen werden.

Kosten- und Funktionsumfang einschätzen

Sobald die Funktionen der gewünschten App gesammelt und gruppiert wurden, können alle Workshopteilnehmer auf Papier erste Prototypen zeichnen («Paper Prototyping»). Diese müssen weder massstabsgetreu noch besonders detailliert sein, sondern sollen in einem ersten Schritt nur die verschiedenen Bereiche der App illustrieren und wie diese zusammenhängen. Anschliessend lassen sich diese Prototypen mit wenig Aufwand digitalisieren und zu einem klickbaren Prototypen zusammmenstellen, der direkt auf dem eigenen Smartphone ausprobiert werden kann. So kann jeder Teilnehmer schon frühzeitig einen Eindruck davon gewinnen, wie sich die Nutzung der späteren App «anfühlen» wird und ob die Informationsarchitektur der App schlüssig ist. In mehreren Iterationen werden anschliessend auf der Basis des Paper Prototypes zuerst Mockups und dann die endgültigen Layouts angefertigt. Zusätzlich lassen sich die einzelnen Bereiche und Funktionen der Apps nun schon so detailliert beschreiben, dass eine Schätzung des voraussichtlichen Implementierungsaufwands und der damit verbundenen Kosten möglich ist.

Liegen die estimierten Kosten für die Umsetzung der App weit über dem verfügbaren Budgetrahmen so gibt es mehrere Möglichkeiten, die Kosten zu reduzieren. Erstens sollte man sich Gedanken machen, auf welchen Betriebssystemen die App verfügbar sein muss. Solange Windows Phone mit einem Marktanteil von weniger als 5% ein Nischendasein fristet[6], kann man in einer ersten Phase getrost darauf verzichten, auch für Nutzer dieser Plattform eine App anzubieten. Ausserdem muss man überlegen, ob wirklich alle Funktionen der App in der ersten Version angeboten werden sollen. Im agilen Vorgehensmodell spricht man hierbei vom «Minimum Viable Product», also von der Frage: Welche Funktionen benötigt unsere App in einer ersten Version mindestens, um dem Nutzer einen Mehrwert zu bieten? Alle weiteren Funktionen können in einem späteren Update der App nachgeliefert werden.

Den Entwicklungsprozess aktiv mitgestalten

Wenn das Budget gesprochen ist und es endlich an die Implementierung der App geht, sollte sich der Auftraggeber nicht zurücklehnen und abwarten bis er eine fertige App erhält. Viele Anbieter arbeiten heute nach einem agilen Vorgehensmodell (SCRUM). Dies erlaubt es dem Kunden, aktiv am Entwicklungsprozess der App teilzunehmen und jederzeit über den aktuellen Stand im Bilde zu sein. Dies bedeutet mindestens, dass der Kunde nach jeder Entwicklungsiteration (Sprint), die im Normalfall ein bis vier Wochen dauert, eine Alphaversion der App zum Test erhält. So lässt sich der Projektfortschritt fortlaufend überprüfen und es kann falls nötig frühzeitig auf den Funktionsumfang und die weitere Planung eingewirkt werden. Darum empfiehlt es sich für den Auftraggeber auch, nach jeder Iteration an den jeweiligen SCRUM-Meetings teilzunehmen, in denen die im letzten umgesetzten Arbeitspakete präsentiert werden und die Priorisierung für den kommenden Sprint vorgenommen wird. Einige App-Entwicklungsfirmen bieten ihren Kunden sogar an, über eine Videokonferenz an den täglich stattfindenden Entwickler-Statusmeetings teilzunehmen. So viel Kundeninvolvierung mag nicht jedermanns Sache sein und auch der damit verbundene Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Aber auf der anderen Seite schafft diese Form der Zusammenarbeit eine ganz neue Art von Transparenz und Vertrauen zwischen Auftraggeber und Anbieter, die sich meist in einer besseren Effizienz und grösseren Kundenzufriedenheit niederschlägt.

Eine weitere wichtige Frage, die es vor der Lancierung zu klären gilt, ist das Preismodell. Es scheint nur logisch, dass eine App, die nicht Teil einer Marketing-Kampagne ist und die dem Nutzer einen funktionalen Mehrwert bietet, nicht kostenlos zum Download angeboten werden soll. Hier gilt es aber zu beachten, dass ein kostenpflichtiger Download für viele Nutzer eine psychologische Barriere bildet, auch wenn der Preis nur 1.00 CHF beträgt. Möchte ein Anbieter dennoch seine App monetarisieren, so sollte er ein «Freemium»-Modell in Betracht ziehen, bei welchem der Nutzer die App kostenlos herunterladen und ausprobieren kann. Erst anschliessend kann er weitere Funktionen der App kostenpflichtig freischalten. Auswertungen der aktuell im App Store erhältlichen Apps zeigen, dass sich die Pricingmodelle in den letzten Jahren immer mehr in Richtung «Freemium» verschoben haben und dass heute – je nach Land – zwischen 70 und 90% des App Store-Umsatzes mit solchen «In App Purchases» erwirtschaftet wird[7].

Auch nach der Lancierung einer App muss mit weiteren Kosten gerechnet werden. Einerseits muss berücksichtigt werden, dass bei der Veröffentlichung von Betriebssystem-Aktualisierungen ein Update der App nötig sein kann und andererseits kann es wünschenswert sein, Anregungen von Nutzern und Funktionen, die es nicht in die erste Version geschafft haben, zu einem späteren Zeitpunkt umzusetzen. Im Idealfall empfiehlt es sich deshalb, bereits vor der Lancierung einen Releaseplan für weitere Updates zu erstellen und dafür ein Budget zu allozieren.

Quellen

[1] http://www.statista.com/statistics/276623/number-of-apps-available-in-leading-app-stores/

[2] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-145_en.htm

[3] http://www.inside-it.ch/articles/40016

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Chaos-Studie

[5] http://techcrunch.com/2013/03/12/users-have-low-tolerance-for-buggy-apps-only-16-will-try-a-failing-app-more-than-twice

[6] http://www.idc.com/prodserv/smartphone-os-market-share.jsp

[7] http://go.appannie.com/report-app-annie-index-market-q2-2015/